Interview mit dem Inspekteur der Polizei Michael Schemke
Herr Schemke, Sie waren selbst lange Jahre in Führungsfunktionen bei nordrhein-westfälischen Spezialeinheiten. Worauf kommt es an?
Schemke: Auf den kompromisslosen Willen, tapfer, gerecht und klug zu sein. Außerdem muss man auf einzelnen Gebieten überdurchschnittliche Fähigkeiten besitzen. Vieles kann trainiert und optimiert werden. Aber es gibt Grundvoraussetzungen, die ein Bewerber oder eine Bewerberin vorzuweisen hat. Sie werden nach einem Medizincheck in einem ausgeklügelten Auswahlverfahren getestet.
Was muss man mitbringen?
Schemke: Eine außerordentliche körperliche Fitness, Höhenfestigkeit, mentale Stärke, Schussfertigkeit sowie Selbstverteidigungsfähigkeiten gehören dazu. Im Rahmen der einjährigen Fortbildung lässt sich dann feststellen, ob die Eigenschaften zuverlässig auch bei großen Belastungen abrufbar sind. Eine ganz wichtige Rolle spielen das Zusammenwirken im Team und taktische Versiertheit. Selbst unter größter Belastung muss jeder einschätzen können, wie das Ziel in der jeweiligen Situation noch erreichbar ist.
Der Andrang ist groß, doch viele fallen durch. Ist man deshalb eine schlechtere Polizistin oder ein schlechterer Polizist?
Schemke: Auf keinen Fall. Es gibt sehr unterschiedliche Begabungen. Wer es nicht zu den Spezialeinheiten schafft, braucht nicht traurig zu sein. Zwar ist für den Moment ein Traum geplatzt. Aber es gibt sehr unterschiedliche und spannende Betätigungsfelder bei der Polizei. Es wird sich schon das Richtige finden.
Die Innenministerkonferenz hat 1974 die Aufstellung von Spezialeinheiten beschlossen. Warum?
Schemke: Vorausgegangen war eine Attacke der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ während der Olympischen Spiele in München 1972. Damals starben 17 Menschen. Die Polizei war darauf in keiner Weise vorbereitet. Das musste sich schnell ändern. Es fing mit der Aufstellung von Spezialeinsatzkommandos an. Später kamen mit den Mobilen Einsatzkommandos, den Verhandlungsgruppen und den Technischen Einsatzgruppen weitere Teileinheiten hinzu.
Der Einsatz der Spezialeinheiten bei der Geiselnahme von Gladbeck 1988 wurde zum Fiasko. Was hat man daraus gelernt?
Schemke: Die unglaublich langen Befehlsketten führten damals dazu, dass mehrfach ein möglicher Zugriff verpasst wurde. Die Täter fuhren mit wechselnden Geiseln durch die halbe Republik und hielten Pressekonferenzen ab. Die Bilanz mit zwei toten Geiseln und einem im Einsatz tödlich verunglückten Polizisten war am Ende fürchterlich. Wir sind in den rund 54 Stunden nie vor die Lage gekommen. Eine Lehre war, dass das Geschehen unter allen Umständen statisch, also am Ort bleiben muss und sich nicht verlagern darf.
Welche organisatorischen Konsequenzen wurden gezogen?
Schemke: Die Entscheidungsbefugnisse haben wir nach vorn verlagert, um effektiver, schneller und reaktionsfähiger zu sein. Bei einem Notzugriff entscheidet manchmal die Person, die gerade an der Tür steht. Zudem halten wir jetzt besondere Polizeiführer für spezielle Lagen vor. Sie helfen mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung. Ein Chaos wie damals ist heute auch deshalb kaum noch vorstellbar, weil die Polizeibehörden inzwischen länder- und auch staatenübergreifend kooperieren. Vieles ist mittlerweile standardisiert.
Sind die Teileinheiten eng genug miteinander verzahnt?
Schemke: Ich denke schon. In Nordrhein-Westfalen sind die Spezialeinheiten an die Polizeipräsidien in Köln, Düsseldorf, Essen, Dortmund, Münster und Bielefeld und das LKA angedockt. Am jeweiligen Ort nutzen die Teileinheiten gemeinsam einen Gebäudekomplex und trainieren in unterschiedlichen Konstellationen zusammen. In jeder Teileinheit agieren Spezialistinnen und Spezialisten mit ganz besonderen Fähigkeiten. Auch überregionale Übungen finden statt. Es geht um permanente Optimierung. Jeder Einsatz wird noch einmal gründlich nachbesprochen. Für mich ist die jährliche Schwingenverleihung in Selm immer ein erhebendes Gefühl, wenn die neuen Mitglieder der Spezialeinheiten feierlich aufgenommen werden.
Das SEK steht immer ein bisschen im Vordergrund. Ist das gerecht?
Schemke: Für die Polizei sind alle Teileinheiten gleich wichtig. Die Medien erwecken manchmal den Eindruck, als ob es vor allem auf das SEK ankäme, weil durch das Spezialeinsatzkommando oft der Zugriff erfolgt. Der Erfolg unserer Spezialeinheiten ist jedoch ein gemeinsamer. Im MEK operieren bestens getarnte Observanten und hervorragende Verfolger. Die Verhandler besitzen eine unheimliche Empathie und wissen genau, wie sie kommunizieren müssen. Und den Einsatzkräften aus der TEG gelingt es immer wieder, Schwerkriminelle dank ihres umfangreichen Knowhows zu überlisten. Um Tätern in großen und brisanten Fällen das Handwerk legen zu können, wird digitales Wissen immer wichtiger.
Muss die Polizeiführung einem gefährlichen Korpsgeist in der Elitetruppe entgegenwirken?
Schemke: Es hat in der Vergangenheit Fälle mit Verfehlungen gegeben. Das waren zwar absolute Ausnahmen, aber dennoch müssen wir sensibel bleiben. Ignorieren heißt akzeptieren. Niemand darf und soll das Ansehen der Spezialeinheiten in unserer Demokratie beschädigen.