LZPD Podcast-E Kapitel 1
Kapitel 1: Einleitung
Dieses Kapitel ist eine Einführung in die Rahmenkonzeption zur neuen Führungsstrategie der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Es geht gezielt auf die Wichtigkeit der Grundgesetzbindung ein, auf die Rahmenbedingungen für Führung und auf die Entwicklung polizeilicher Führung in Nordrhein-Westfalen.
Führungskräfte beeinflussen durch ihr Verhalten und ihr Handeln in besonderem Maße die Qualität der Leistungen und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und damit den Erfolg der Organisation. Führung hat die Aufgabe, eine Balance zwischen Organisationsinteressen und Interessen der Beschäftigten herzustellen. Dazu bedarf es eines wertbasierten Fundamentes. Dies ermöglicht nicht nur eine verbindende Orientierung an dem Warum und dem Wozu polizeilicher Arbeit, sondern auch ein annähernd gleiches Verständnis von guter Führung. Gute Führung darf kein Zufall sein! Die Rahmenkonzeption beschreibt daher einen verbindlichen Rahmen, wie gute Führung gelingen und kontinuierlich gesichert werden kann. Sie dient den Führungskräften aller Hierarchieebenen als Leitfaden und somit als Orientierungshilfe. Polizeiliches Handeln ist wie in Abschnitt 1.1 dargestellt an das Grundgesetz gebunden. Führung kann nur erfolgreich gestaltet werden, wenn aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und gestiegene Anforderungen an polizeiliche Arbeit angemessene Berücksichtigung finden, wie in Abschnitt 1.2 beschrieben. Diese Rahmenkonzeption greift in Abschnitt 1.3 die aktuellen Entwicklungen, aber auch den empirisch gestützten Wissensstand zum Thema Führung auf und bettet die Ansätze auf der Grundlage eines Wertegerüstes in ein strategisches Gesamtkonzept ein. Mit der Orientierung an Vorgaben der PDV 100 VS-NfD bleiben bewährte Führungsgrundsätze erhalten, werden aber um Aussagen aus dem transformationalen Führungsmodell2 ergänzt. So kann eine zeitgemäße und doch zukunftsorientierte Führungskonzeption vorgelegt werden, die theoretischen Erkenntnissen und polizeipraktischen Erfahrungen wie Bedürfnissen optimal genügt. Im Abschnitt 2 werden die Bestandteile guter Führung mit ihren Wechselwirkungen dargestellt. So wird in Abschnitt 2.1 der Wertehorizont zu essentiellen Werten mit erläuternden, beispielhaften Aussagen abgebildet. Im Abschnitt 2.2 folgen Ausführungen zur Bedeutung der demokratischen Resilienz. Darauf aufbauende Führungsprinzipien, die das Ziel haben, ein grundlegendes und verbindendes Führungsverständnis zu schaffen, werden anschließend in Abschnitt 2.3 beschrieben. Im Abschnitt 2.4 wird die Wichtigkeit von Kommunikation im Führungshandeln verdeutlicht. Nach den im Abschnitt 2.5 befindlichen Ausführungen zur Auswahl und Qualifizierung von Führungskräften wird in 2.6 ein Zwischenfazit gezogen. Zur Vermittlung von Handlungssicherheit für Führungskräfte werden im Abschnitt 3 bzw. 4 praxisorientierte Führungsinstrumente und Handlungsempfehlungen für spezifische Führungssituationen dargelegt. Weiterführende Informationen zu diesen Werkzeugen sind als separate Anlagen beigefügt. Die dann in Abschnitt 5 folgende strategische Gesamtkonzeption trifft Aussagen zu Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Weiterhin beschreibt sie die Zielhierarchie für die verantwortliche Wahrnehmung von Führung. Sie legt Handlungsfelder und Erfolgsfaktoren guter Führung für die Steuerung auf Behördenebene und auf Landesebene fest. Weiterhin werden die Bestandteile Monitoring, Exploration und Intervention als ergänzende strategische Elemente erläutert. Im Abschnitt 6 werden Aussagen zur Evaluation getroffen. Hier erfolgt im Besonderen eine Darstellung der beabsichtigten Vorgehensweise auf den unterschiedlichen Evaluationsebenen. Der abschließende Ausblick im letzten Abschnitt beschreibt, welche möglichen Herausforderungen und Entwicklungen auf die Polizei NRW und ihre Mitarbeitenden zukommen.
1.1 Bindung an das Grundgesetz
Die Polizei des Landes NRW basiert auf einem festen demokratischen Wertefundament. Es handelt sich um die Werte, die durch die Grundprinzipien unserer Verfassung festgeschrieben und durch den Diensteid bzw. das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung verbindend bestätigt werden. Die Werte und Ziele, für welche die Polizei nach außen und innen steht, werden allerdings nicht automatisch mit dem Eintritt in den Polizeidienst vollumfänglich übernommen und vertreten. Sie müssen deshalb in der Ausbildung eindringlich vermittelt und kontinuierlich im Rahmen guter Führung thematisiert und vorgelebt werden. Eine erfolgreiche Sozialisation, die auch die eigene Urteilskraft beständig stärkt, gibt den Beschäftigten Sicherheit und Orientierung für ihr Handeln und Verhalten gegenüber der Bevölkerung. Sie wirkt sich produktiv auf die Zusammenarbeit in der Organisation aus. Polizeibeschäftigte müssen im Besonderen über eine ausgeprägte demokratische Resilienz, also eine Widerstandsfähigkeit gegen demokratiefeindliche Erscheinungsformen, verfügen und rechtsstaatlich agieren. Gute Führung fördert deshalb die ständige Reflexion persönlicher Einstellungen und des Handelns. Sie muss einen akzeptanz- und vertrauensbasierten Umgang erreichen, der die Mitarbeitenden ermutigt, Fehlentwicklungen und Missstände direkt anzusprechen und ein falsch interpretiertes Wir-Gefühl und einen negativen Korpsgeist zu verhindern. Verhalten in Führungsbeziehungen prägt die Werteorientierung innerhalb der Organisation entscheidend mit und setzt damit die Grundlagen für das innerdienstliche Klima, die Haltung und das Selbstbewusstsein sowie die Eigenverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Führungskräfte nehmen hierbei hierarchieübergreifend eine maßgebende Vorbildfunktion wahr.
1.2 Rahmenbedingungen für Führung
Führung ist anspruchsvoller und komplexer geworden. Neue und dynamische Entwicklungen der Rahmenbedingungen verändern die Erwartungen und Herausforderungen an die Führungskräfte. Die Diversität in der Beschäftigtenstruktur hat für die Organisation der Polizei NRW und das Führungshandeln zunehmend mehr Bedeutung. Vielfalt hat dabei viele Dimensionen und kann sich zum Beispiel auf Alter, sexuelle Orientierung, psychische und physische Fähigkeiten, Ethnie sowie nationale oder soziale Herkunft, Religiosität oder Weltanschauung beziehen. Die Herausforderungen und Potenziale dieser Vielfalt zu erkennen und damit inklusiv umzugehen, ist eine wesentliche Führungsaufgabe. Ein hervorzuhebender Aspekt ist dabei die zunehmende Altersdiversität aufgrund des dynamischen demografischen Wandels, die zu einer deutlichen Verjüngung der Altersstruktur der Polizei NRW führt. Die Auswirkungen kleiner Kohorten in den zurückliegenden Einstellungsjahren werden nunmehr durch einen zum Teil fehlenden Mittelbau im Personalkörper spürbar. Die Vorstellungen und die Motivation im Hinblick auf die Berufswahl sowie das berufliche Selbstverständnis junger Generationen3 unterscheiden sich mutmaßlich von denen der Vorgängergenerationen. Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung rückt stärker in den Fokus. Die Lebensziele und der Stellenwert der Berufstätigkeit erfahren eine veränderte Bewertung. Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege sowie damit verbundene alternative Arbeitszeitmodelle gewinnen an Bedeutung (Konzepte wie Jobsharing oder duale Führung). Mit der anhaltenden Verjüngung des Personalkörpers der Polizei NRW werden sich voraussichtlich die personellen Entwicklungsmöglichkeiten der Einzelnen – auch hinsichtlich Beförderungen oder Höhergruppierungen – verändern. Absehbar werden die Beschäftigten, die in den nächsten Jahren im vergleichsweise jungen Lebensalter in Führungsfunktionen gelangen, diese Stellen dann über Jahre hinweg wahrnehmen. Die Polizei NRW strebt gerade deshalb langfristige Konzepte zur Personalentwicklung an. Leistungsorientierte Beschäftigte erwarten verlässliche Karriereperspektiven, Entwicklungsmöglichkeiten sowie gerechte und nachvollziehbare Leistungsbewertungen. Führungskräfte wirken daran mit, Mitarbeitende zu entwickeln und Perspektiven aufzuzeigen. Außerdem nehmen gesellschaftliche, insbesondere technologische Veränderungen Einfluss auf das Führungsverhalten. Die rasant wachsende Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche mit verbesserten Möglichkeiten des Informations- und Wissensmanagements führt zu einer Veränderung, häufig auch zur Beschleunigung der Arbeitsabläufe, einer individuelleren Arbeitsgestaltung und einer Umgestaltung der Kommunikationsstrukturen. Mobiles Arbeiten wird verstärkt in Anspruch genommen und gefördert. Führung in der digitalen Zusammenarbeit bedeutet in Teilen eine Abkehr von traditionellen Führungsstrukturen, die andere Anforderungen an die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden untereinander wie an die Führungskräfte und damit an das Führungshandeln insgesamt stellt. Ein weiterer Aspekt sind die gestiegenen Anforderungen an die Polizei im Arbeitsalltag. Polizeiliche Aufgabenwahrnehmung ist mit vielfältigen physischen und psychischen Belastungen verbunden. Dies äußert sich insbesondere auch durch eine messbare Zunahme von Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber der Polizei. Besondere Belastungen müssen im Rahmen einer guten Führung erkannt und unter anderem im Rahmen der Fürsorge sowie bei der Vermittlung von Hilfsangeboten besonders berücksichtigt werden. Gleichzeitig bestehen erhöhte qualitative und quantitative Erwartungshaltungen an die Polizei als wesentlicher Garant für die Innere Sicherheit. Als Trägerin des Gewaltmonopols unterliegt sie einer umfassenden öffentlichen Kontrolle. Gesellschaft, Medien und Politik erwarten eine rechtsstaatlich handelnde und leistungsfähige Polizei. Polizeiliches Handeln steht immer im Fokus, wird intensiv medial dargestellt und kritisch hinterfragt. Neue Kommunikationsmittel erlauben, polizeiliches Einschreiten aufzuzeichnen und einer globalen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Insbesondere Führungskräfte sind in diesem Zusammenhang großen Beanspruchungen ausgesetzt. Sie müssen auf der einen Seite den Organisationszielen gerecht werden und die Rechtmäßigkeit des Einschreitens ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter prüfen. Dabei sind auf der anderen Seite aber auch der Rückhalt, das Wohl und die Gesundheit der Mitarbeitenden und ihre eigene Gesundheit im Blick zu behalten, um einer Diskrepanz zwischen hohen Anforderungen und fehlenden Möglichkeiten zur Bewältigung vorzubeugen.
1.3 Entwicklung polizeilicher Führung in Nordrhein-Westfalen
Die polizeiliche Führung hat sich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland fortentwickelt und dabei wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen aufgenommen. Sie orientierte sich vornehmlich an den nachfolgend dargestellten Führungssystemen und Führungsgrundsätzen. Über Jahrzehnte hinweg hat das Kooperative Führungssystem (KFS)4 die Führung der Polizei in Deutschland entscheidend geprägt. Es wurde Anfang der 70er Jahre in die Polizeien von Bund und Ländern eingeführt und in der damaligen PDV 100 mit seinen sechs Elementen Delegation, Beteiligung, Transparenz, Repräsentation, Kontrolle sowie Leistungsfeststellung und -bewertung verankert. Gemessen an dem vormaligen System von Befehl und Gehorsam war das KFS ein wesentlicher Wegbereiter für eine moderne, am Menschenbild des Grundgesetzes orientierte und auf die Einbeziehung der Mitarbeitenden gerichtete Führungskultur. Die bundesweit geltende PDV 100 VS-NfD enthält in der heutigen Fassung Führungsgrundsätze. Denen folgend dient Führung unter anderem dem gemeinsamen Erreichen von Zielen, die vorwiegend im Gegenstromverfahren generiert werden sollen. Erfolgreiche Führung erfordert zudem umfassende Kommunikation und zielgerichtete Information. Führungskräfte sind weiterhin verantwortlich für die Fürsorge gegenüber den Mitarbeitenden. So sollen Leistung und Arbeitszufriedenheit im ethischen Einklang erreicht werden. Erstmalig wurden „Grundsätze für Zusammenarbeit und Führung“ 1996 im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung in der Innenverwaltung des Landes NRW – damit auch für die Polizei in NRW – eingeführt und im Jahr 2004 aktualisiert. Die Ziele waren, bei immer knapper werdenden Haushaltsmitteln und steigenden Anforderungen, insbesondere durch eine verbesserte Steuerung Leistungsreserven zu erschließen. In dieser Zeit wurden auch neue Steuerungs- und Führungssysteme in den Verwaltungen etabliert, u. a. das Neue Steuerungsmodell der Polizei NRW (NStM)5 . Ende des Jahres 2005 wurde dieses abgelöst, da Führung in der operativen Umsetzung aus heutiger Sicht nicht ausreichend berücksichtigt worden war. Mit der Neuausrichtung von Führung und Steuerung wurde den Kreispolizeibehörden in NRW verbindlich vorgeschrieben, auf Grundlage einer kontinuierlichen Analyse der Sicherheitslage ein strategisch ausgerichtetes Sicherheitsprogramm in den Kernaufgabenbereichen zu entwickeln und fortzuschreiben. Unter anderem sollen erfolgsbestimmende Führungsaktivitäten die Umsetzung der Sicherheitsprogramme unterstützen. Diese Rahmenkonzeption behandelt nun noch strukturierter und umfassender die notwendigen Führungsaktivitäten und bindet diese in der Systematik des Steuerungskreislaufs in die strategische Steuerung der Polizeibehörden ein. Mit dem im September 2020 aktualisierten Behördlichen Gesundheitsmanagement der Polizei NRW (BGMPol) wurde die gesunderhaltende Führung als ein wesentlicher Erfolgsfaktor definiert und in die strategische Steuerung innerhalb der Fachstrategie Zentrale Aufgaben (ZA) aufgenommen.6 Der Prozess der Weiterentwicklung polizeilicher Führungssysteme brachte in Deutschland zwei bedeutsame Denk- und Führungsmodelle hervor, einmal das von den Autoren als Kooperatives Führungssystem 2.0 (KFS 2.0) beschriebene Denkmodell7 von Barthel/Heidemann und zum anderen das Polizeiliche Führungsmodell (PFM) von Thielmann/Weibler8 . Die beiden Modelle sind auf der Grundlage einer kritischen Reflexion des KFS und der veränderten politischen und gesellschaftlichen Werte entstanden. Deren Inhalte können an dieser Stelle nicht hinlänglich dargelegt werden. Es sei jedoch angemerkt, dass diese Rahmenkonzeption nach Abwägung durch das eng am Führungsgeschehen ausgerichtete Polizeiliche Führungsmodell inspiriert ist. Das auf der transformationalen Führung basierende PFM besitzt eine breite theoretische wie empirische Absicherung, integriert polizeipraktisches Wissen und greift Elemente des bestehenden KFS weiterhin dort auf, wo von ihnen ein positiver Einfluss auf die Polizeiarbeit erwartet werden darf. Entscheidend für die polizeiliche Führungsarbeit in der Polizei NRW wird nicht zuletzt sein, dass dieses Führungsmodell, das auf der demokratischen Verfasstheit polizeilicher Arbeit und ethischen Grundlagen fußt, die beständige Anpassung an interne wie externe Entwicklungen in sich konzeptionell eingebaut hat und damit besonders zukunftsfähig erscheint.
Fußnoten: Für die Audiofassung haben wir uns entschieden, auf Fußnoten weitestgehend zu verzichten. Zu finden sind alle Literaturhinweise, Querverweise und Quellenangaben vollständig in der schriftlichen Fassung.
Abbildungen: Abbildungen sind nur in der schriftlichen Fassung zu finden:
Anlagen: Zu einigen Themen gibt es zusätzliche Anlagen z.B. Informationsbögen oder Vorlagen für Vereinbarungen. Diese sind nur in der schriftlichen Fassung zu finden.
Die schriftliche Fassung können Sie hier aufrufen.